Univ.-Prof. i.R. Dr. Otto RAUCHBAUER (1938 - 2024)

Fotographie von Otto Rauchbauer, 1995

Otto Rauchbauer 1995 in Dublin anläßlich der Präsentation des Katalogs zum Edith Œnone Somerville Archiv bei der Irish Manuscripts Commission.

In großer Trauer gibt das Institut für Anglistik und Amerikanistik Nachricht vom Tod von Univ.-Prof. Dr. Otto Rauchbauer, der am 3. Oktober 2024 nach längerer schwerer Krankheit gestorben ist.

Otto Rauchbauer wurde 1938 in Eisenstadt geboren und besuchte dort das Gymnasium. Ab 1956 studierte er an der Universität Wien Anglistik und Germanistik. Schon im ersten Studienjahr verbrachte er einige Zeit bei Gastfamilien in London und Liverpool. Diese frühen Auslandserfahrungen weckten in ihm eine lebenslange Neugier an anderen Ländern und Kulturen. Nach Absolvierung der Lehramtsprüfung begann er unter der Förderung von o. Univ.-Prof. Siegfried Korninger eine Dissertation zu Sir William Cornwallis und dem Essay seiner Zeit, die er 1964 abschloss. Da er sich zunächst nicht sicher war, ob er die angebotene wissenschaftliche Laufbahn am Institut einschlagen sollte, ging er 1965 mit seiner Gattin Ursula in die USA, um an der Wayne State University, später auch am Middlebury College in Vermont als Germanistiklektor zu arbeiten. In dieser Zeit knüpfte das Ehepaar viele Kontakte, auch mit Exilösterreichern und Exilösterreicherinnen, die in der Zeit des Nationalsozialismus in den Vereinigten Staaten eine neue Existenz gefunden hatten. Neben diesen often berührenden Begegnungen war Otto Rauchbauer insbesondere von der Kultur der indigenen Bevölkerung im Südwesten der USA zeitlebens tief beeindruckt.

Nach diesem Amerikaaufenthalt erfolgte die Rückkehr nach Wien und an das Institut. Noch ein weiteres Mal verbrachte er, schon begleitet von seiner jungen Familie, zwei Jahre (1973-1974) mit Forschungsarbeiten in Oxford. 1978 habilitierte er sich mit einer Analyse zum Werk des elisabethanischen Dramatikers Thomas Heywood. 1981 wurde Otto Rauchbauer zum außer-ordentlichen Professor ernannt, 2001 zum Universitätsprofessor.

Es waren die Aufenthalte in Großbritannien, die Otto Rauchbauers wissenschaftliche Ausrichtung, die zunächst ganz auf die englische Literatur des 16. Und 17. Jahrhunderts ausgerichtet schien, umlenkten. In England entdeckte er die Landsitze des englischen Adels, zunächst als ästhetisch und kunsthistorisch faszinierende Objekte, dann auch als literarisches Motiv mit zahlreichen interdisziplinären Verbindungen zu Sozial- und Geistesgeschichte. Durch wissenschaftliche und freundschaftliche Kontakte kam er mit dem anglo-irischen Big House in Berührung. Dieses komplexe und konfliktreiche Thema sollte in den folgenden 30 Jahren zum Fokus seiner wissenschaftlichen Publikationen werden. 1992 erschien ein erster Sammelband (Ancestral Voices. The Big House in Anglo-Irish Literature. A Collection of Interpretations), 2002 eine Monografie (Diskurse und Bilder zum anglo-irischen Landsitz im zwanzigsten Jahrhundert). Besondere Bedeutung hat die zwischen 1992 und 1993 erfolgte Errichtung eines Familienarchivs der anglo-irischen Schriftstellerin und Malerin Edith Somerville. Er wurde dazu von der Familie Somerville eingeladen, weil man ihm als ausländischen Wissenschaftler eine objektivere Herangehensweise zutraute als irischen oder britischen Wissenschaftlern. Dieses Familienarchiv hat in Irland bis heute Modellcharakter. Der Katalog, begleitet von einer umfangreichen Beschreibung des Archivinhalts, erschien 1994 (The Edith Œnone Somerville Archive in Drishane. A Catalogue and an Evaluative Essay).

Schon im Ruhestand verfasste Otto Rauchbauer eine Arbeit zu Sir Shane Leslie (2008), eines Cousins Winston Churchills. Leslie war Literat mit politischen Ambitionen und kämpfte sein Leben lang darum, seine verschiedenen nationalen und kulturellen Identitäten miteinander zu vereinbaren. Otto Rauchbauer empfand es als eine faszinierende Herausforderung, dieser schillernden Persönlichkeit mit ihren vielfältigen Begabungen gerecht zu werden.

Durch Otto Rauchbauers wissenschaftliches Werk zieht sich wie ein roter Faden sein Interesse am Biografischen und so wundert es nicht, dass er in den letzten Jahren noch eine akribisch recherchierte Familiengeschichte seiner Vorfahren und eine kleine Autobiografie verfasste, die allerdings nur privat gedruckt wurden.

In seiner Lehre hat Otto Rauchbauer eine beeindruckende Bandbreite von Themen angeboten: die Historien, Tragödien und das Spätwerk William Shakespeares, weitere Dramatiker des 16. und 17. Jahrhunderts; große Autor*innen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts wie Virginia Woolf, D.H. Lawrence, James Joyce, Katherine Mansfield, Rudyard Kipling, und andere.

Ein besonderes Verdienst liegt im an der Wiener Anglistik damals neuen Schwerpunktthema der irischen Literatur, die Otto Rauchbauer seinen Studierenden in ihrer gesamten Bandbreite vom späten 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart näherbrachte, wodurch er ein Wegbereiter der Irish Studies an der Universität Wien wurde, die besonders seit der Gründung des Vienna Centre of Irish Studies unter Werner Huber 2009 ein wichtiger Bestandteil der Forschung und Lehre an der Wiener Anglistik und Amerikanistik geblieben sind. In diesem Zusammenhang sei an eine sehr erfolgreiche Veranstaltung erinnert, die Otto Rauchbauers Wirken in dieser Hinsicht aufzeigt: in Zusammenarbeit mit dem Literaturverein Alte Schmiede fand im November 2001 eine dreitägige Veranstaltung „Irland erzählt“ statt, die 13 irische Autor*innen zu Lesungen und Gesprächen in die Hofburg nach Wien brachte.

Otto Rauchbauer war einer der Initiatoren des Studierendenaustausches für den Fachbereich Anglistik, als er gegen Ende der 1980er Jahre, als dies die rechtlichen Rahmenbedingungen ermöglichten, mit britischen und irischen Universitäten Joint-Study-Abkommen ausverhandelte, die er etwa 15 Jahre lang (ab ca. 1994 als Erasmusprogramme) mit viel Einsatz und Arbeitsaufwand verwaltete und koordinierte. Ganz im Sinne der Weltoffenheit, die er auch in seinem Leben zu verwirklichen suchte, bekamen so Generationen von Studierenden die Möglichkeit zu bereichernden Erfahrungen im Ausland. Das Auslandssemester war zuweilen auch für den wissenschaftlichen Nachwuchs der erste Schritt hin zur Entscheidung für das Fach als Beruf. Bis heute, 35 Jahre später, sind fast alle Plätze noch vorhanden.

Durch die Öffnung des Instituts, die Otto Rauchbauer durch das Austauschprogramm, durch die Einladung internationaler Gastlehrender und durch seine Lehre bewirkte, hat er Generationen von Studierenden neue Anregungen geboten. Für Studierende, die seiner Ansicht nach besondere Förderung verdienten, setzte er sich auch persönlich aktiv ein, indem er ihnen zu Stipendien und manchmal sogar zu Studienplätzen im englischsprachigen Ausland verhalf.

Weltoffenheit, Reisen, und das Erfahren (auch im wortwörtlichen Sinne) anderer Länder und deren Kultur kann als Lebensphilosophie von Otto Rauchbauer gelten. Er ist, meist privat, hunderttausende Kilometer in Europa und den Vereinigten Staaten gereist. Neben England, Irland und Amerika besuchte er Süd- und Osteuropa, etwa Frankreich, Italien, Deutschland, später auch Tschechien, Istrien, Polen, und zweimal auch Russland. Seine Reise nach Israel hatte für ihn eine ganz besondere Bedeutung. In späteren Jahren kamen noch Mexiko und Namibia hinzu. Ganz im Gegensatz dazu stand sein zweites Hobby, das Radfahren, für das er bewusst wo immer möglich autofreie Wege benutzte. Daneben blieb das heimatliche Burgenland sein geliebter Rückzugsort, in dem er seine Wurzeln hatte.

Otto Rauchbauer, der nach außen gelegentlich distanziert wirken konnte, war ein hochsensibler, warmherziger und mitfühlender Mensch. Selbst im Krieg aufgewachsen, mit Flucht- und Besatzungserfahrung, bedeutete jede Art von kriegerischem Konflikt und Gewalt für ihn eine intensive seelische Belastung, so etwa der Jugoslawienkrieg, der Nahostkonflikt, und der Ukrainekrieg. Zeitlebens hat er Menschen in Not geholfen, auch persönlich und direkt, und oft über viele Jahre.

Otto Rauchbauer gilt unser Dank für mehr als dreißig Jahre unermüdlichen Wirkens und Einsatzes an diesem Institut. Das Institut wird ihm dafür immer ein ehrendes Andenken bewahren. Seiner Gattin Ursula und seiner ganzen Familie gilt unsere tiefempfundene Anteilnahme.


Monika Wittmann und Karin Lach, im Oktober 2024

Persönliche Anmerkung von Monika Wittmann: Otto Rauchbauer hat immer bedauert, dass das Deutsche als Wissenschaftssprache immer mehr vom Englischen abgelöst wurde. Dass sein Nachruf in deutscher Sprache abgefaßt wurde, ist daher sicherlich in seinem Sinne.

CV

1981-2003 Professor of English Literature at the University of Vienna. Studies in Vienna, Bristol and London. Professor at Wayne State University in Detroit from 1965 to 1966; has taught a wide range of subjects. Research interests: Irish literature in the English language with a focus on cultural and interdisciplinary approaches. 
Current interests: the theory and writing of biography. He has been pursuing an extensive biography project on Shane Leslie, which was authorized by the literary executors of the family.

 

Publications


Rauchbauer, Otto: Die Essays von Sir William Cornwallis und das Essay seiner Zeit. Wien, Univ.-Diss., 1963 (unveröffentlicht).

Rauchbauer, Otto: Some Unrecorded Letters by Caroline Norton. In Notes & Queries, 17/9 (September 1, 1970), pp. 335-339.

Rauchbauer, Otto: Die Received Pronunciation des Englischen. In: Moderne Sprachen 18 (1974), pp. 1-15.

Rauchbauer, Otto: Thomas Heywood. An Annotated Bibliography. 1967-date. In: Research Opportunities in Renaissance Drama 18 (1975), pp. 45-50.

Rauchbauer, Otto: Zur Tradition des englischen familiar essay im 17. Jahrhundert. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen 212 (1975), pp. 49-69.

Rauchbauer, Otto: Praktische englische Phonetik an der Universität. Überlegungen zu einem Modell. In: Neusprachliche Mitteilungen 29/1 (1976), pp. 17-29.

Rauchbauer, Otto: Visual and Rhetorical Imagery in Thomas Heywood’s A Woman Killed With Kindness. In: English Studies. A Journal of English Language and Literature 57/3 (1976), pp. 200-210.

Rauchbauer, Otto: Th. Heywood’s A Woman Killed with Kindness. Scene XLV: Sir Charles’s Plan. An Alternative Reading. In: Sprachkunst 8 (1977), pp. 129-135.

Rauchbauer, Otto: The Armada Scene in Thomas Heywood’s If You Know Not Me You Know Nobody. In: Notes & Queries, n.s., 24 (1977), pp. 143-144.

Rauchbauer, Otto: The Subplot of Thomas Heywood’s The Captives. Some Facts and Speculations. In: Études Anglaises 30/3 (1977), pp. 343-345.

Rauchbauer, Otto: Das englische country house als Modell für eine integrative Landeskunde. Eine Skizze und ein Forschungsüberblick. In: AAA. Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik 9/2 (1984), pp. 157-170.

Rauchbauer, Otto: Aidan Higgins, Killachter Meadow and Langrishe, Go Down sowie Harold Pinters Fernsehfilm Langrishe, Go Down. Variationen eines Motives. In: Rauchbauer, Otto (ed.): A Yearbook of Studies in English Language & Literature. Festschrift für Siegfried Korninger. (Wiener Beiträge zur Englischen Philologie, 80). Wien, Braumüller, 1986, pp. 163-185.

Rauchbauer, Otto et al. (eds.): Englisch als Zweitsprache. Tübingen, Narr, 1989. Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik, Band 2.

Rauchbauer, Otto, Hg.: Ancestral Voices. The Big House in Anglo-Irish Literature. A Collection of Interpretations. Hildesheim, Olms, 1992.

Rauchbauer, Otto: The Edith Œnone Somerville Archive in Drishane. A Catalogue and an Evaluative Essay. Dublin, Irish Manuscripts Commission, 1994/1995.

Rauchbauer, Otto: Sidonie Nádherný, Karl Kraus, Max und Gillian Lobkowicz und die Familie Somerville. Einige Anmerkungen zu Begegnungen und Beziehungen. In: Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv 14 (1995), pp. 36-42.

Rauchbauer, Otto: The Fluidity of Fact. The Big House, People’s Perspective, and Folklore into Art. In Fabula. Zeitschrift für Erzählforschung 40 (1999), Heft 3/4, pp. 222-258. (Sonderdruck).

Rauchbauer, Otto / Wittmann, Monika: „Mordio“ – „Feurio“ – „Diebio“. Hilde Spiels kreative Leistung als Übersetzerin englischer Dramatik. In: Profile. Magazin des österreichischen Literaturarchivs. 2. Jahrgang, Heft 3 (März 1999): Hilde Spiel. Weltbürgerin der Literatur. Ed. Hans A. Neunzig und Ingrid Schramm. Wien, Zsolnay, 1999, pp. 111-124.

Rauchbauer, Otto: Diskurse und Bilder zum anglo-irischen Landsitz im zwanzigsten Jahrhundert. Heidelberg, Winter, 2002.

Rauchbauer, Otto: Shane Leslie. Sublime Failure. Dublin, Lilliput Press, 2009.

Rauchbauer, Otto: Celebrating 150 Years of Austria’s Presence on Belgrave Square. Published by the Austrian Embassy in London, 2016.

Rauchbauer, Otto: Die Familie Dobrovich-Rauchbauer. Familienchronik mit Fotografien, 344 S., Spiralbindung, o. J. (Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur, Wien, N1.61).

Talks

Rauchbauer, Otto: Irische Literatur im 20. Jahrhundert. Irland erzählt (09.-11.11.2001), Wien, Österreichische Nationalbibliothek, 09. November 2001.

Rauchbauer, Otto: The Big House in 20th-Century Irish Writing: The Post-Yeatsian Irish Country-House Poem. Analyses, Backgrounds and Contexts. Invited Lecture. Dublin, Royal Irish Academy, October 14/15, 2008.

Novák, Caterina / Rauchbauer, Otto: Fürst Paul III. Anton Esterházy als Gesandter in London. 31. Schlaininger Gespräche, 26. September 2011.

Reviews

D.S., Otto Rauchbauer: The Edith Œnone Somerville Archive in Drishane. A Catalogue and Evaluative Essay. In: Times Literary Supplement, October 13, 1995, pp. 37.

N.N., The Edith Œnone Somerville Archive in Drishane. A Catalogue and Evaluative Essay. In: Books Ireland, Summer 1995, pp. 173-174.

Kosok, Heinz: Otto Rauchbauer, Diskurse und Bilder zum anglo-irischen Landsitz im zwanzigsten Jahrhundert. In: Sprachkunst. Beiträge zur Literaturwissenschaft Jg. XXXIII (2002), 2. Halbband, pp. 360-364.

Lernout, Geert: Shane Leslie. Sublime Failure. In: James Joyce Quarterly 47/1 (Fall 2009), pp. 164-169.

Mays, J. C. C: The Edith Œnone Somerville Archive in Drishane. A Catalogue and Evaluative Essay. In: The Review of English Studies. A Quarterly Journal of English Language and Literature XLVIII/188 (November 1996), Short Notices, pp. 635.